Zulässigkeit eines Erbscheinsantrags bei Nichtangabe der gesetzlich geforderten Beweismittel
Kategorie: Nachlassabwicklung
Ein Erbscheinsantrag ist nicht unzulässig, wenn der Antragsteller vom Gesetz geforderte Beweismittel ohne Verschulden nicht angibt. Stattdessen setzt die Pflicht des Nachlassgerichts zur Amtsermittlung ein.
OLG Frankfurt 2. Juni 2022 Az: 20 W 264/20 Beschlussvorgehend AG Offenbach 6. Juli 2019 Az: 4 VI 545/15 B
Gründe
[1] I. Die Beteiligte zu 2 war die Ehefrau, die Beteiligte zu 3 ist die Tochter des am 11. November 2009 verstorbenen Erblassers.
[2] Ein niederländisches Gericht verurteilte den Erblasser mit rechtskräftigem Urteil vom 9. September 2009 zur Zahlung von 416.354,15 € nebst Zinsen und Kosten an die Beteiligte zu 1. 2011 wurde das Urteil für in Deutschland vollstreckbar erklärt und die Vollstreckungsklausel gegen die „unbekannten Erben“ des Erblassers erteilt sowie diese dem zwischenzeitlich bestellten Nachlasspfleger zugestellt. Die Nachlasspflegschaft wurde später wieder aufgehoben.
[3] In der Sterbefallsanzeige des Ortsgerichts, deren Inhalt auf den Angaben der Beteiligten zu 2 beruht, sind als Kinder des Erblassers die Beteiligte zu 3 und „eine uneheliche Tochter L. , weiteres nicht bekannt, wohnt in GB“ angegeben. Die Beteiligten zu 2 und 3 schlugen die Erbschaft aus und fochten die Annahme der Erbschaft wegen Irrtums an. Ein Nachlassinsolvenzverfahren wegen Überschuldung des Nachlasses wurde durchgeführt und nach der Schlussverteilung aufgehoben.
[4] Die Beteiligte zu 1 hat die Erteilung eines Erbscheins mit dem Inhalt beantragt, dass die Beteiligten zu 2 und 3 Erben zu je 1/2 seien. Das Nachlassgericht hat darauf hingewiesen, dass, sofern die Angaben in der Sterbefallsanzeige zuträfen, neben den Beteiligten zu 2 und 3, unabhängig von der Wirksamkeit ihrer Ausschlagungserklärungen, auch die nichteheliche Tochter Erbin sei, und um Mitteilung gebeten, ob den Verfahrensbeteiligten hinsichtlich dieser Tochter Erkenntnisse vorlägen, die von den Angaben in der Sterbefallsanzeige abwichen. Die Beteiligte zu 1 hat daraufhin hilfsweise einen Erbschein beantragt, wonach der Erblasser zu 1/2 von der Beteiligten zu 2 und zu je 1/4 von der Beteiligten zu 3 und „L. „, Nachname und Adresse unbekannt, beerbt worden sei. Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.
[5] Hiergegen richtet sich die vom Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1, mit der sie ihren Erbscheinsantrag weiterverfolgt.
[6] II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht (§ 74 Abs. 6 Satz 2 Alt. 1 FamFG ).
[7] 1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Hauptantrag sei unzulässig, weil die Beteiligte zu 1 ihre Angaben zu dem Verhältnis, auf dem das Erbrecht beruhe, und zu dem etwaigen Wegfall einer Person, durch die das Erbteil der Beteiligten zu 2 und 3 gemindert würde, nicht durch öffentliche Urkunden nachgewiesen oder andere Beweismittel angegeben habe. Sie habe keine Beweise dafür erbracht oder Beweismittel angegeben, dass „L. “ entweder nie existiert habe oder zumindest kein Abkömmling des Erblassers im Rechtssinne gewesen oder weggefallen sei. Mangels ordnungsgemäßen Erbscheinsantrags sei das Nachlassgericht nicht verpflichtet gewesen, im Wege der Amtsermittlung selbst Nachforschungen zur Existenz von „L. “ anzustellen. Der Auffassung, dass die Amtsermittlungspflicht bereits dann ausgelöst werde, wenn der Antragsteller Beweismittel ohne Verschulden nicht vorlege, sei zumindest für das frühere Recht (§ 2356 Abs. 1 BGB a.F.) nicht zu folgen, weshalb dahinstehen könne, ob die Beteiligte zu 1 hier ohne Verschulden keine Beweismittel habe vorlegen können. Der Hilfsantrag sei bereits deshalb unzulässig, weil die Bezeichnung einer Erbin mit dem Vornamen ohne nähere Identifizierung nicht Inhalt eines Erbscheins sein könne.
[8] 2. Das hält hinsichtlich der Zurückweisung des Hauptantrags der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung durfte das Beschwerdegericht den Erbscheinsantrag nicht ablehnen.
[9] a) Ein Erbscheinsantrag ist nicht unzulässig, wenn der Antragsteller vom Gesetz geforderte Beweismittel ohne Verschulden nicht angibt (vgl. MünchKomm-BGB /Mayer, 6. Aufl. § 2356 Rn. 2; Zimmermann in Soergel, BGB 13. Aufl. § 2356 Rn. 26; ders. in Sternal, FamFG 21. Aufl. § 352 Rn. 61; a.A. OLG Düsseldorf ErbR 2014, 493, 496 [juris Rn. 18]: nur bei objektiver Unmöglichkeit). Stattdessen setzt die Pflicht des Nachlassgerichts zur Amtsermittlung gemäß § 2358 BGB a.F., § 26 FamFG ein (vgl. Staudinger/Herzog, BGB (2016) § 2353 Rn. 58; Zimmermann in Soergel aaO Rn. 2; BeckOK-FamFG /Schlögel, § 352 Rn. 17 [Stand: 1. Oktober 2022]; MünchKomm-BGB /Mayer, 6. Aufl. 2013, BGB § 2354 Rn. 3 f.). Das ergibt die Auslegung des bis zum 16. August 2015 geltenden § 2356 Abs. 1 BGB (im Folgenden: § 2356 Abs. 1 BGB a.F.), der inhaltlich § 352 Abs. 3 FamFG entspricht.
[10] b) § 2356 Abs. 1 BGB a.F., der gemäß Art. 229 § 36 EGBGB auf dieses Verfahren weiter anwendbar ist, bestimmt die vorzulegenden Beweise zu den im Erbscheinsantrag erforderlichen Angaben. Diese Beweismittel „hat“ der Antragsteller anzugeben; das ist daher grundsätzlich Voraussetzung eines zulässigen Antrags. Jedoch steht dies unter dem ungeschriebenen Vorbehalt, dass der Antragsteller solche Beweismittel bei pflichtgemäßem Bemühen überhaupt angeben kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beweisanforderungen des § 2356 Abs. 1 BGB a.F. Teil der Mitwirkungspflichten im Erbscheinsverfahren sind (vgl. MünchKomm-BGB /Mayer, 6. Aufl. § 2354 Rn. 1). Die allgemeine Mitwirkungspflicht im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach § 27 Abs. 1 FamFG bedeutet jedoch (nur), dass die Parteien durch Angaben von Tatsachen und Beweismitteln eine gerichtliche Aufklärung ermöglichen sollen, soweit sie dazu in der Lage sind (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 186). Eine verweigerte Mitwirkung beeinflusst dann den Umfang gerichtlicher Ermittlungen, wenn sie zumutbar war (vgl. aaO). Das Gesetz geht dementsprechend davon aus, dass die Mitwirkungspflichten schuldhaft verletzt werden können (vgl. § 81 Abs. 2 Nr. 4 FamFG ), was aber die Möglichkeit der Entschuldigung einschließt. Im Erbscheinsverfahren kann daher eine Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse verschuldet oder unverschuldet sein (vgl. dazu als Aspekt der Kostenentscheidung Senatsbeschluss vom 18. November 2015 – IV ZB 35/15, FamRZ 2016, 218 Rn. 16).
[11] c) Das steht im Einklang mit dem Zweck des § 2356 Abs. 1 BGB a.F. Die besonderen Regelungen zur Mitwirkungspflicht im Erbscheinsverfahren sollen sicherstellen, dass in diesem vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten Verfahren die Ermittlungslast nicht allein beim Nachlassgericht liegt, da die Ermittlung der den Antrag begründenden Tatsachen in erster Linie im Interesse des Antragstellers liegt und dieser regelmäßig den zu ermittelnden Sachverhalt besser kennt als das Nachlassgericht und über einen besseren Zugang zu bestimmten Beweismitteln verfügt (vgl. jurisPK-BGB /Lange, 7. Aufl. § 2354 Rn. 2; zur besseren Kenntnis auch OLG Naumburg FamRZ 2016, 652, 654 [juris Rn. 11]). Der Gesetzgeber sah § 2356 BGB a.F. als eine „Regelung der Beweislast“ an (vgl. zu § 2070 BGB-E Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band V S. 299). Deswegen muss zunächst der Antragsteller selbst nach Kräften bemüht sein, sein behauptetes Erbrecht, so wie er es im Erbschein bezeugt haben will, nachzuweisen (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1996, 1441, 1442 [juris Rn. 11]; OLG Köln Rpfleger 1981, 65 [juris Rn. 6]; BayObLGZ 1951, 690, 695). Nach diesem Zweck finden die Pflichten des Antragstellers ihre Grenze an seinen Möglichkeiten zur Angabe von Beweismitteln.
[12] d) Auch aus der Regelung des § 2358 Abs. 1 BGB a.F., nach der das Nachlassgericht „unter Benutzung der von dem Antragsteller angegebenen Beweismittel“ von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen hat, ergibt sich nicht, dass ohne solche Angaben ein Erbscheinsverfahren nicht eingeleitet werden kann bzw. ein gleichwohl gestellter Antrag unzulässig wäre. Nach dem Willen des Gesetzgebers war diese Vorschrift insgesamt Ausdruck der „Offizialmaxime“, d.h. des Amtsermittlungsgrundsatzes (vgl. zu § 2070 BGB-E Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band V S. 300). Die Regelung ist mit der Überführung der Vorschriften zum Erbscheinsverfahren in das FamFG ersatzlos gestrichen worden, da der Gesetzgeber davon ausging, dass sich die entsprechenden Grundsätze bereits aus §§ 26 , 29 FamFG ergäben und mit dem dort nicht enthaltenen Zusatz „unter Benutzung der von dem Antragsteller angegebenen Beweismittel“ keine inhaltliche Einschränkung der Amtsermittlungspflicht verbunden sei (vgl. BT-Drucks. 18/4201 S. 61). Das Nachlassgericht ist daher bei der Tatsachenfeststellung weder auf die von den Beteiligten angegebenen Beweismittel beschränkt noch muss es stets allen Beweisanträgen nachgehen (vgl. Staudinger/Herzog, BGB (2010) § 2358 Rn. 7), so dass auch das Fehlen von Beweisangeboten zu bestimmten Umständen dem Verfahren nicht entgegensteht.
[13] e) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts ist es dem Nachlassgericht auch möglich, das Verschulden des Antragstellers zu beurteilen. Dieser hat substantiiert darzulegen, warum er zur Angabe der Beweismittel nicht in der Lage ist (vgl. Zimmermann in Sternal, FamFG 21. Aufl. § 352 Rn. 61). Bei den an diese Entschuldigung zu stellenden Anforderungen kann zu berücksichtigen sein, wie nah der Antragsteller dem Erblasser stand; insbesondere ein Gläubiger des Erblassers wird regelmäßig weniger Kenntnisse und einen schlechteren Zugang zu bestimmten Beweismitteln haben (vgl. LG Flensburg JurBüro 1968, 558, 559; Zimmermann in Soergel, BGB 13. Aufl. § 2358 Rn. 1; ders. in Sternal aaO).
[14] 3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 74 Abs. 2 FamFG ). Der Erbscheinsantrag kann nicht deswegen zurückgewiesen werden, weil die Beteiligte zu 1 bisher in den Vorinstanzen die unterbliebene Angabe von Beweismitteln für die Existenz oder Nichtexistenz einer weiteren Erbin nicht entschuldigt hat. Nachdem die Beteiligte zu 1 in ihrer Beschwerdeschrift mitgeteilt hatte, sie versuche die angebliche weitere Tochter zu ermitteln, hat das Beschwerdegericht die Beschwerde zurückgewiesen. Im Rahmen der im Erbscheinsverfahren geltenden Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG ) hat das Gericht aber die Beteiligten zur Mitwirkung zu veranlassen und auf eine Ergänzung des tatsächlichen Vorbringens hinzuwirken (vgl. BayObLG FamRZ 2001, 771, 773 [juris Rn. 35]). Einen Hinweis auf die Notwendigkeit, zu den Hinderungsgründen vorzutragen, hat das Beschwerdegericht – aus seiner Sicht konsequent – bisher nicht erteilt.
[15] 4. Soweit die Beschwerdeentscheidung die Zurückweisung des Hilfsantrags betrifft, wird sie von der Rechtsbeschwerde zu Recht nicht angegriffen.
[16] III. Die Sache ist daher zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG ). Dieses wird für die Frage der Zulässigkeit des Erbscheinsantrags Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die Beteiligte zu 1 ein Verschulden an der bisher unterbliebenen Angabe von Beweismitteln für die Existenz oder Nichtexistenz einer weiteren Erbin trifft. In diesem Zusammenhang trifft die Beteiligte zu 1 keine Verpflichtung zur Einschaltung eines Erbenermittlers oder Privatdetektivs. Von einem Antragsteller kann die Beschaffung weiterer Informationen nur verlangt werden, wenn dies für ihn mit – auch finanziell – vertretbarem Aufwand möglich ist. Dazu gehören die vergütungspflichtigen Leistungen eines Erbenermittlers oder Privatdetektivs in der Regel nicht. Grundsätzlich hat nämlich das Nachlassgericht die erforderlichen Ermittlungen gemäß § 2358 BGB a.F., § 26 FamFG von Amts wegen durchzuführen (vgl. OLG Hamm NJW-RR 2015, 1160 [juris Rn. 16]).
Entnommen aus NWB-Datenbank
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